Nicole Scherg
An meinen ersten Besuch in der „Waldviertler Schuhwerkstatt“ in Schrems kann ich mich noch gut entsinnen. Der Geruch des Leders, das Hämmern und Schleifen riefen Erinnerungen an meinen Großvater wach. Er war auch Schuhmacher und arbeitete jeden Tag, bis er 98 Jahre alt wurde, in seiner kleinen Werkstatt. Als einer der letzten Schuster weit und breit, starb mit meinem Opa das Schuhhandwerk in unserer Region fast aus.
Dank vieler glücklicher Umstände konnten die Waldviertler Werkstätten bis heute überleben, nicht zuletzt aber wegen ihres unkonventionellen Geschäftsführers Heinrich „Heini“ Staudinger.
Ich lernte Heini vor 4 Jahren bei einem seiner Vorträge kennen, einem „Mutmacher Gespräch“. Er erzählte von seiner Haltung als Unternehmer. Wie er in der totgesagten Schuhbranche über die Runden kommt und dass es ein Armutszeugnis für ein Land ist, wenn es selbst nichts mehr produzieren kann. Dass Betriebe gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen - genau wie die Kunden, die mit dem Kauf eines Produktes auch das dahinter liegende System unterstützen. Dass ihm Wachstum und Gewinn nicht so wichtig sind und er für regionales, lebensbejahendes Wirtschaften ist.
Seine scheinbar einfache Methode, die Welt im Kleinen zu verändern, direkt vor der eigenen Haustüre und ganz ohne auf den Rest der Welt zu warten, machte mich neugierig. Eine Vision gegen Ohnmacht und Resignation angesichts der oft undurchschaubaren globalen Zusammenhänge und des salonfähig gewordenen Raubrittertums?
Wie kann es in unserer komplexen Zeit gelingen, die eigenen Gestaltungsspielräume wahrzunehmen? Kann dadurch eine breitere, gesellschaftliche Veränderung bewirkt werden?
Während meiner 4-jährigen Recherche- und Drehzeit bin ich tief in das Firmengeflecht in Schrems eingetaucht. Ich beobachtete die alltäglichen Herausforderungen, die das Schuhbusiness mit sich bringt - und wie der Betrieb im Arbeitsalltag versuchte, die eigenen hohen Werte in einer nachhaltigen Form des Wirtschaftens umzusetzen.
Der größte Wendepunkt war sicherlich der Brief der Finanzmarktaufsicht. Durch ihre Anzeige wegen illegaler Bankgeschäfte wurde das Unternehmen mit seinem Fahnenträger Staudinger über Nacht zu einem couragierten Beispiel für zivilen Ungehorsam.
Scharen von Journalisten und Fernsehteams kamen und stilisierten ihn und die Marke „Waldviertler“ zum Sinnbild für das nicht Hinnehmen des scheinbar Unvermeidlichen. Heini stand im Rampenlicht, doch dafür waren viele Menschen im Hintergrund notwendig, die ihm inhaltliche und moralische Rückendeckung gaben und dafür sorgten, dass das Kerngeschäft „Schuhe“ am laufen blieb.
Die Verkaufszahlen stiegen und stellten den Betrieb vor neue Herausforderungen. Mit mehr Geld denn je zuvor und starkem Firmenwachstum wurden nicht nur alte, langsam gewachsene Strukturen, sondern auch die Philosophie des Unternehmens auf die Probe gestellt.
Aus meiner zu diesem Zeitpunkt bereits gewonnenen Nähe konnte ich nicht nur die „Aufregung“ drehen, die diese Entwicklungen mit sich brachte, sondern auch Zwischentöne, das Davor und Danach.
Die „Waldviertler“ haben einiges bewirkt. Ihr Kampf um die Legalisierung des eigenen Finanzierungsmodells hat in der Bevölkerung und Politik Bewusstsein für die Problematik geschaffen. Dank des inzwischen neu verabschiedeten Crowdfunding Gesetzes ist es nun um vieles einfacher, Geld von Privatpersonen zu leihen.
Alleine dass die Firma trotz der widrigen Umstände immer noch existiert, könnte man bereits als Erfolg werten. Sie schreiben zudem schwarze Zahlen und bilden neue Lehrlinge in einer konjunkturschwachen Grenzregion aus, um das Aussterben der Schuhproduktion in Europa zu verhindern.
Für mich ist „Das Leben ist keine Generalprobe“ auch ein Film über „Selbstermächtigung“ geworden - ein Beispiel, dem eigenen Ruf zu folgen, egal wie mühevoll es sein mag. Heinis Ausspruch „Es gibt im Leben nichts Wichtigeres, als das Leben“ kann auf dieser Reise manchmal ein hilfreicher Kompass sein.